Was zuerst auffällt, wenn man nach langer Zeit nach Deutschland zurückkehrt, ist die Präsenz des Staates. Jedes kleine Schild, jeder Strich auf der Straße, jede Parkbank ist genormt und geeicht – im ganzen Land bietet sich dasselbe Bild.
Der Verkehr fließt zügig und effizient, alle Geräte funktionieren, das Personal ist nicht besonders freundlich, aber qualifiziert. Auf dem endlosen Gang zur Gepäckausgabe läuft neben mir ein Geschäftsmann, der aufgebracht in sein Handy spricht: „Ja, aber bei solch einem aufwendigen Prozedere muss es doch Regeln geben!“, wirft er seinem Gesprächspartner vor. Wenn es keine Regeln gibt, ist was faul in Deutschland. Es verursacht Verunsicherung und Aggression. Die Welt ist richtig, wenn man ein Regelwerk vorweisen kann, falsch, wenn Regeln nicht klar formuliert und aufgeschrieben werden. Denn es gibt sie ja immer, auch im größten Chaos, bloß die Prioritäten sind andere.
Der Gepäckwagen kostet zwei Euro, die wir natürlich nicht in der Hosentasche zu stecken haben, also müssen wir unsere Rucksäcke, Taschen und Koffer zerren und schieben. Die Businessmänner und -frauen ziehen einen kleinen Rollkoffer, wir hingegen sehen aus wie eine überladene Alpakaherde. Endlich finden wir den Ausgang aus dem Flughafenkomplex. Claudius´ Mutter wartet schon aufgeregt.
Die Autofahrt führt an bunten Herbstwäldern vorbei. Ich freue mich besonders über den Anblick der Birke, mein Lieblingsbaum. Fein leuchtet das Weiß ihres grazilen Stammes durch die Dämmerung. Am Himmel scheinen sich verspätete Fluggänse auf die Reise nach Ayampe zu begeben.
Und sonst? Stefan Zweig schreibt: „Jede Form von Emigration verursacht an sich schon unvermeidlicherweise eine Art von Gleichgewichtsstörung. Man verliert – auch dies muss erlebt sein, um verstanden zu werden – von seiner geraden Haltung, wenn man nicht die eigene Erde unter sich hat, man wird unsicherer, gegen sich selbst misstrauischer.“
Zweig versteht das wohl als Kritik, er beklagt sich über das zusammengebrochene Europa, über das Zwangsexil, in das er vor den Nazis flüchten musste. Ich bin freiwillig „emigriert“, wenn man so will, würde ihm jedoch trotzdem zustimmen: Den Zustand der „Gleichgewichtsstörung“ habe ich genossen. Das Misstrauen gegen die eigenen Überzeugungen oder die selbstgerechte Gewissheit über richtig und falsch bleiben vielleicht eine Weile bestehen, wenn man zurückkehrt. Ich habe mich schon immer über uns Deutsche gewundert, nun noch ein bisschen mehr. Aber ich mag dieses exotische Land, diese flachen Felder mit den Nadelwäldern, die bunten Ahornblätter, das harte Brot, ich will es mögen lernen.